Newsletter corporate 2018 I

1. INTERNATIONALES HANDELSRECHT / VERTRAGSRECHT / LIZENZRECHT

1.1. BGH 22.02.2018: doppelte Rechtshängigkeit Gerichts-Shopping á la EU

Der Kläger erhob zunächst Zahlungsklage in Österreich, kurz darauf auch in Deutschland gegen denselben Beklagten. In Österreich einigte man sich vergleichsweise, der Kläger begehrte Feststellung der Erledigung der deutschen Klage mit dem Ziel, dem Beklagten die Kosten für diese Klage auferlegen zu lassen. Der BGH verneinte eine prozessuale Erledigung. Nach Art. 29 EuGVVO habe das später angerufene Gericht den Rechtstreit auszusetzen bis das erstangerufene, hier österreichische, Gericht über seine Zuständigkeit befunden habe. Erst danach stehe fest, ob das zweitangerufene Gericht überhaupt zur Entscheidung befugt sei. Die Regelung vermeidet doppelte Rechtshängigkeit und damit letztlich widersprechende Urteile von Gerichten aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten. Unserer Erfahrung nach ermöglichen es die Regelungen der EuGVVO jedoch, in bestimmtem Maße ein gewisses, aus dem US-Verfahrensrecht bekanntes, Forum-Shopping zu betreiben: die Auswahl des günstigeren Gerichts durch rechtzeitige, frühere Klageeinreichung dort. Im Fall verneinte der BGH Erledigung: Die deutsche Klage sei von Anfang an unzulässig gewesen, sie könne sich daher prozessual nicht durch eine Begleichung der Schuld (Vergleich Österreich) erledigt haben. Die Kostenlast verbleibe daher beim Kläger.

1.2. BGH 16.11.2017: Unterlassung - Verletzung von Betriebsgeheimnissen

Die Beklagte war Vertriebspartner für die Produkte der Klägerin bis 2005. Nach Beendigung, wegen Aufnahme des Eigenvertriebs durch die Klägerin, stellte die Beklagte selbst ein Eigenprodukt her – die Klägerin erwirkte 2014 rechtkräftig ein Urteil des OLG Frankfurt zur Unterlassung des Vertriebs wegen Verletzung von Betriebsgeheimnissen der Klägerin einschl. Auskunftserteilung und Verurteilung zum Schadensersatz dem Grunde nach. Ab 2015 vertrieb die Beklagte Konkurrenzprodukte des Herstellers H, welche ohne Nutzung der rechtswidrig erlangten Betriebsgeheimnisse durch H hergestellt wurden. Die Klägerin verlangte Unterlassung des Vertriebs durch die Beklagte mit dem Argument, sie habe 2008-2014 durch ihr (rechtswidriges) Eigenprodukt Kontakte zu Kunden geschaffen und damit eine Marktposition erlangt, welche sie nun beim Vertrieb für H ausnutze. Hier wäre eine Karenzzeit – so die Klägerin – nach § 3 UWG festzusetzen. Dem widersprach der BGH, weil keine unmittelbare Verletzung des § 17 UWG vorliege. Auch das Verbot der Fruchtziehung aus vorab unlauter erlangten Betriebsgeheimnissen greife hier nicht ein, weil dieses primär die unmittelbare Nutzung von unlauter erlangten Betriebsgeheimnissen, nicht aber jeden mittelbaren wettbewerblichen Vorteil treffe.

1.3. BGH 18.10.2017 Produktrückruf-AGB-Qualitätssicherungsvereinbarung

Der klagende Auftraggeber verlangte vom Auftragnehmer Ersatz aller Kosten, die ihm durch einen Produktrückruf des Auftragnehmers entstanden sind. Dieser hatte den Rückruf wegen Schimmelpilzfunden in seiner Ware vorgenommen. Der Auftraggeber stützte seine Forderungen auf eine Klausel seiner AGB, die, ohne nach dem Grund der Mängel zu differenzieren, den Ersatz jeglichen Mehraufwands beim Auftraggeber durch den Auftragnehmer vorsah: „Mehraufwand bei dem AG, der aus Mängeln von Liefergegenständen entsteht, geht in angefallener Höhe zu Lasten des AN. Der Mehraufwand ist dem AN durch den AG nachzuweisen“. Die Klausel widerspricht jedoch der gesetzlichen Regelung, dass mangelbedingter Mehraufwand durch Schadens- oder Aufwendungsersatz kompensiert wird. Laut BGH ist eine differenzierte Regelung erforderlich, die bei der Verteilung der Kosten des Mehraufwandes insb. das (Mit-)Verschulden angemessen berücksichtigt. Zudem sei Verschulden ist nur dann überhaupt entbehrlich, wenn der Auftragnehmer in der Qualitätssicherungsvereinbarung eine Garantie für die Eigenschaft des Produkts, die den Rückruf ausgelöst hat, übernommen hat, nicht aber bei gesetzl. Gewährleistung. 

1.4. Neue Schiedsordnung der DIS seit 01.03.2018 in Kraft

Am 01.03.2018 trat die neue Schiedsgerichtsordnung der Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. in Kraft. Sie enthält wesentliche Neuerungen zur Verfahrenseffizienz (zum Beispiel Reduktion der Dauer und Kosten). Zudem wird mit der Einführung gänzlich neuer Regelungen auf die zunehmende Komplexität nationaler und internationaler Streitigkeiten reagiert. Aus diesem Grund enthalten die neuen Regeln Bestimmungen zu Mehrvertragsverfahren, der Einbeziehung zusätzlicher Parteien sowie zur Bündelung von mehreren Schiedsverfahren. Die neue DIS-Ordnung soll die alternative Streitbeilegung v.a. in der Unternehmenspraxis attraktiver machen.

Anmerkung: Der Sinnhaftigkeit einer Schiedsvereinbarung im innerdeutschen Kontext ist jedoch immer auch der Kostenlast gegenüber zu stellen. International macht es dem gegenüber in aller Regel Sinn, auf ein Schiedsverfahren auszuweichen. Hierfür können die neuen DIS-Regeln je nach Sitzstaat des Vertragspartners eine sinnvolle Grundlage bieten. Alternativen finden sich u.a. in Paris (ICC), London International Arbitration Court, Wien (Vienna International Arbitral Centre) und Stockholm (Stockholms Handeskammares Skiljedomsinstitut) neben den weiteren großen US-Organisationen (AAA, IBA) und den Asiatischen Schiedsinstitutionen (Sydney NSW, Singapore, HKAC, Cietac).

1.5. BGH 07.12.2017 Erfordernis der Mängelanzeige im UN-Kaufrecht

Die Abgrenzung zwischen Werk- und Kaufverträgen bereitet oft Schwierigkeiten. Bei Fällen mit Vertragsparteien aus verschiedenen Staaten ist diese Unterscheidung bereits für die Frage des anwendbaren Rechts, also, ob UN-Kaufrecht und damit auch die Rügepflicht aus Art. 39 CISG anwendbar ist, relevant. Dabei galt bisher der Wert der Leistungen als relevantes Abgrenzungskriterium. Im Urteil stellte der BGH ausschließlich auf den Vertragswortlaut und nicht auf den Wert der Leistungen ab, da der Wortlaut zur Kategorisierung (KaufV oder WerkV) hinreichend konkret war. Damit kann künftig durch entsprechende Formulierung des Vertrags, mit der die Hauptpflichten des Vertrags klar herausgestellt werden, die Frage der Einordnung des Vertragstyps besser beeinflusst werden, was u.U. zum Entfallen der Rügepflicht führt bzw. die Einhaltung der häufig deutlich längeren Rügefrist des Art. 39 CISG im Vergleich zu § 377 HGB erzwingt.

 

2. GESELLSCHAFtSRECHT / STEUERRECHT

2.1 BFH 06.12.2017: Veräußerungserlös beim Erwerb eigener Anteile

Die GmbH gliederte frei Gewinnrücklagen in eine zweckgebundene Rücklage zum Erwerb eigener Anteile um (96 TEUR). Nachfolgend veräußerte der Alleingesellschafter der GmbH u.a. 50 % seiner Anteile an die GmbH selbst zum Erwerb als eigene Anteile zum Preis von 96 TEUR mit allen Gewinnbezugsrechten für nicht ausgeschüttete Gewinne. Unter Abzug der ursprünglichen Anschaffungskosten (12,5 TEUR – hälftiges Stammkapital) ermittelte das Finanzamt hierauf einen Veräußerungserlös von ca. 84 TEUR. Der vormalige Alleingesellschafter trug im steuerlichen Einspruchsverfahren vor, der Gewinn aus dem Erwerb eigener Anteile durch die GmbH sei kein Anschaffungsvorgang, sondern als Kapitalherabsetzung zu behandeln. Die gebildete Rücklage zum Erwerb eigener Anteile sei als Eigenkapital zu behandeln, in der Folge sei dieser Betrag als Anschaffungskosten bei ihm abzusetzen. Dem widersprach der BFH: der Übergang der Anteile zu eigenen Anteile GmbHs als Veräußerungsvorgang nach § 17 Abs. 1 EStG zu behandeln. Die rein gesellschaftsinterne Umgliederung frei verfügbar Gewinnrücklagen in gebundene Rücklagen führe nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten auf den Anteil des ausscheidenden Gesellschafters.

3. ARBEITSRECHT

3.1. BAG 11.04.18: Gehaltsreduzierung durch Betriebsvereinbarung?
Der Arbeitsvertrag aus 1992 sah eine Vergütung von monatlich „in der Gruppe BAT Vc/3 = DM 2.527,80 brutto“ vor. Das BAG sah hierin eine dynamische tarifliche Bindung an die jeweilige Tarifentwicklung. Primäre Frage war, ob eine später, in 1993 geschlossene Betriebsvereinbarung, welche auf ungünstigere, niedrigere tarifliche Vergütungsregelungen Bezug nahm, durchschlug. Das BAG verneinte das im Gegensatz zu den Vorinstanzen und sprach dem Kläger tarifliche Vergütung nach dem aktuellen TöVD als Nachfolge des BAT zu. Das BAG sprach der negativ verschlechternden BV die Wirksamkeit ab. Zudem stellte sich, auch wenn die BV wirksam wäre, hier nicht die Frage, ob der Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sei oder nicht (und damit durch negative BV änderbar war). Dies komme nur bei AGB-mäßig vereinbarten Arbeitsvertragsklauseln in Frage, nicht aber, wie hier, bei einer individuell im Jahre 1992 getroffenen Vergütungsabrede.

3.2. LAG Schl-Holstein 21.3.2018: Verdachtskündigung – Anhörungsfrist
Geht der Arbeitgeber vom Begehen einer Straftat durch einen Mitarbeiter – häufig in Form von Eigentumsdelikten – aus, kann aber der Nachweis nicht hinreichend sicher geführt werden, bietet sich regelmäßig die hilfsweise Kündigung, gestützt auf den Verdacht des Begehens an. Im Regelfall muss die Schwere des Vorwurfs – selbst wenn die Kündigung als ordentliche Kündigung ausgesprochen wird – die Qualität des wichtigen Grundes, wie sonst für die außerordentliche Kündigung erforderlich, erreichen. Zwingende Voraussetzung ist die vorherige Anhörung des Mitarbeiters. Im Fall blieben dem Mitarbeiter zur Stellungnahme nur 2 volle Tagezu kurz, wie das LAG befindet. Regelmäßig stellt das BAG auf das Ausreichen einer Frist von einer Woche ab. Das Fristenregime bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (grob: zwei Wochen ab Kenntnis) muss aber zusätzlich beachtet werden, die Fristen zur Betriebsratsbeteiligung sind ebenfalls zu berücksichtigen.

3.3. BAG v. 27.02.2018. Erhöhung Arbeitszeit § 9 TzBfG und Schadensersatz
Der mit 14 Std. je Woche tätige Lehrer zeigte sein Interesse an einer Erhöhung der Stundenzahl 2015 an, das Land stellte tatsächlich im neuen Schuljahr 2015/2016 mehrere Zusatzkräfte befristet ein, ohne auszuschreiben und ohne den Kläger zu informieren. Der Kläger begehrte eine Vertragsänderung, hilfsweise Schadensersatz. Der Kläger begehrte Schadensersatz, weil das Land seinen Stundenzahl-Erhöhungsanspruch vereitelt habe. Grundsätzlich bejaht das BAG unter Verweis auf seine Entscheidung vom 18.07.2017, dass ein Schadensersatzanspruch aus der Vereitelung des Vertragsschlusses folgen könne, dieser ist dann auf den Ausgleich zwischen der erzielbaren höheren Vergütung für die hypothetisch höherer Arbeitszeit und der tatsächlichen Vergütung gerichtet. (Anm. bisher liegen keine Entscheidungen zur Dauer des Ausgleichs vor – hieraus kann sich eine kostenintensive mehrjährige Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben). Das BAG konkretisiert mit dem Urteil aber, der AN habe konkret ein Vertragsangebot zur Erhöhung der Stundenzahl zu unterbreiten, nicht nur sein Interesse zu bekunden oder um Information zu Erhöhungsmöglichkeiten zu bitten. Diese Sichtweise des BAG ist befremdlich, hatte doch der AN mangels Information durch den Arbeitgeber gar keine Möglichkeit, ein konkretisiertes Angebot abzugeben. Dies gilt auch für die zweite Argumentationsschiene des BAG: der Lehrer habe sein Erhöhungsverlangen nicht auf eine befristete Erhöhung gerichtet – so wie das Land letztlich die weiteren Kräfte nur befristet einstellte.

3.4. ArbG Chemnitz, 29.01.2018: Urlaubsgewähr – Widerspruch Unternehmen
Das Unternehmen ließ am Jahresanfang einen Urlaubsplan durch Eintragung in Kalender aufstellen, konkret sollte der Urlaub aber erst eine Woche vor Antritt durch den Mitarbeiter beim Abt.-Leiter eingereicht werden. Die Klägerin hatte für 21.08. bis 08.09. Urlaub in den Kalender eingetragen, war jedoch bis zum 25.08. krank und erschien am 28.08.2017 nicht zur Arbeit in der Annahme, Urlaub zu haben. Das Unternehmen kündigte, das ArbG hielt die Kündigung für unwirksam. Schon mangels Widerspruchs gegen den Kalendereintrag seitens des Unternehmens sei der Urlaub erteilt worden. Zudem sei die Frist zur Verbindlichstellung des Urlaubs von nur einer Woche vor Antritt zu kurz. Das ArbG hat bereits Zweifel, ob eine starre Frist zur Mitteilung des Urlaubswunsches überhaupt vereinbart werden kann, sehe doch § 7 Abs. 1 BUrlG vor, dass die „Wünsche des Arbeitsnehmers“ bei der Urlaubserteilung angemessen zu berücksichtigen seien. Jedenfalls aber müsse das Unternehmen binnen angemessener Frist der „Urlaubsgrobplanung“ des Arbeitnehmers widersprechen – hierfür hält das Arbeitsgericht eine Frist von 1 Monat für maßgeblich.